Adolf Schlatter: Leben, Werk, Wirkung
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Pfarrer in Kilchberg, Neumünster und Keßwil (1875–1880)
Die folgenden fünf Jahre als Pfarrer in den drei Gemeinden Kilchberg (1875), Neumünster (1875–1876) und Keßwil (1877–1880) waren für Schlatter eine derart erfüllte Zeit, dass er als Theologiedozent noch lange eine „starke Sehnsucht nach dem Pfarramt“ empfand.1 In dieser Zeit lernte er alle Licht- und Schattenseiten der volkskirchlichen Situation kennen. Vor allem in Neumünster (Zürich) hatte er es mit denkbar schwierigen Gemeindeverhältnissen zu tun, da dort die Entkirchlichung und Entsittlichung besonders weit vorangeschritten war. Zu jener Zeit gewann er die Freundschaft von Pfarrer Edmund Fröhlich, der ihn auf den katholischen Philosophen und Laientheologen Franz von Baader (1765–1841) aufmerksam machte und ihm half, Pfarramt und theologische Arbeit miteinander zu verbinden. Die durch Fröhlich angeregte intensive Beschäftigung mit dem katholischen Philosophen hat Schlatters dogmatisches und ethisches Denken, aber auch seine Erkenntnislehre und seine Bewertung der idealistischen Philosophie tief beeinflusst. In Baader fand er endlich einen profilierten systematischen Denker, der ihn „mit starker Hand bewegte“! Baader war für Schlatter vor allem dort befruchtend, wo er die zeitgenössische protestantische Theologie als mangelhaft oder als korrekturbedürftig empfand. Dies betraf z.B. die Lehre von der Liebe und die Sozialethik, aber auch die starke Anlehnung an Kant. Dennoch behielt Schlatter auch Baader gegenüber erhebliche Vorbehalte, vor allem was dessen spekulativ-theosophische Ausrichtung anbetraf.
Schlatters drei Jahre in der Dorfgemeinde Keßwil oberhalb des Bodensees „füllten sich reich mit dem, was das Pfarramt Liebliches hat, mit dem, was ihm seine geistliche Tiefe gibt, und mit dem natürlichen Glück, das es uns gewährt.“2 Schlatter fühlte sich in dieser Gemeinde ausgesprochen wohl und lernte dort auch Susanna Schoop kennen, die er nach kurzem Kennenlernen im Januar 1878 heiratete. Schlatter hat aus der Ehe mit der Keßwiler Kaufmannstochter, aus der fünf Kinder hervorgingen, viel Kraft (und sicherlich auch manche Erkenntnis!) für seine theologische und geistliche Wirksamkeit geschöpft.